Dialog mit den Potsdamer Vorfahren

 

Sie sagen, ihr wart nicht so bedeutend, dass man sich an euch erinnern sollte.

Wir wussten das schon zu Lebzeiten. Die Oberen nutzten unsere Arbeit, nahmen gern die abgelieferten Abgaben entgegen, aber als einzig von Bedeutung sahen sie sich nur selbst. Als wir aus unseren Häusern vertrieben wurden, weil Kurfürst Friedrich Wilhelm seine Residenzstadtideen verwirklichen wollte und dazu den Platz für sein größeres Schloss benötigte, waren wir zuvor nicht gefragt worden.
Es fragte auch niemand, ob wir mit dem Abriss unserer Kirche einverstanden waren, weil König Friedrich Wilhelm I. sich seine Kirche an unserem Marktplatz bauen lassen wollte. Nachdem er die alte Katharinenkirche abgerissen, den Friedhof entweiht und die Gebeine unserer Vorfahren verstreut sowie die neue Kirche gebaut hatte, bekamen wir von ihm "als Geschenk" zwei weitere Kirchen. Wir benötigten sie nicht. Aber der König, als Demonstration seiner Macht.

Warum habt ihr euch nicht gewehrt?

Es gab Gegenwehr. Wer sich nicht mit den Veränderungen abfand, musste aber die Stadt verlassen oder wurde zur Flucht gezwungen. Potsdam hat jedesmal seine klügsten Köpfe verloren. Andere haben von dem Exodus profitiert, Sachsen oder Schweden...

Doch wir wissen nichts von Widerstand. Es heißt immer: Ihr seid glücklich gewesen, als der Blick des Kurfürsten auf euer Städtchen fiel und er es mit der Erhebung zur Residenzstadt adelte?

Was wißt ihr überhaupt von uns? Dass wir zwar ein hartes Leben hatten, zwischen den sumpfigen Löchern und dem immer wieder mal seine Ufer übertretenden Havelstrom, aber auch glücklich waren, feierten und lachten, Kinder bekamen und sie aufwachsen sahen, und uns über unsere Nachbarn, die Berliner, lustig machten? Denn wie waren sie sauer, als sich der König nur 40 Kilometer entfernt eine neue und schönere Residenz bauen ließ.
Ihr könnt von uns nichts wissen. Aufgeschrieben wurde immer nur das Amtliche. Wir selbst konnten sehr oft nicht schreiben und vielfach das Geschriebene auch nicht lesen. Die amtlichen Papiere gingen bei den Stadtbränden in Flammen auf (die auch unsere Häuser vernichteten) oder wurden Opfer der Mäuse und anderen Kleingetiers bzw. verschwanden in den Potsdam heimsuchenden Kriegen.
Dennoch. Ihr könntet mehr von uns wissen, kamen bei den Grabungen für die von euch gebauten Häuser doch genügend Hinweise auf unsere Existenz und auf unser normales Leben ans Tageslicht. Aber es interessiert euch nicht. Wo ist denn die von euch geschriebene Geschichte über unsere Zeit, vor dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm? Kennt ihr die Namen unserer Priester, die als Christen - später als Katholiken bezeichnet - für unser Seelenheil beteten, uns Beistand leisteten in den Zeiten größter persönlicher und kollektiver Bedrängnis? Was wisst ihr von den Menschen, die unser Gemeinwesen leiteten oder, weil sie des Schreibens und Lesens mächtig waren, alles über unser tägliches Leben in einer Chronik festhielten? Was sagt euch, um nur ein Beispiel zu nennen, der Name Samuel Gerlach?

Wie konnte es dazu kommen, dass der Schleier des Vergessens über euch gezogen wurde und später niemand bereit war, diesen zu lüften?

Als wir alle Christen waren und uns noch niemand in Katholiken oder Protestanten aufspaltete, lebten wir zufrieden. Die Umstände brachten es aber mit sich, dass nicht alles aufgeschrieben wurde. Doch wir gaben unser Wissen zu unseren Vorfahren und über uns selbst mündlich weiter. Als sich die Herrscher aus dem Hause Hohenzollern entschlossen, den Glauben zu wechseln und wir ihnen zu folgen hatten, wurde vieles vernichtet, was mit unserer Vergangenheit zu tun hatte. Der Rest fiel den Stadtbränden des Reformations-Jahrhunderts zum Opfer. Als nunmehrige Protestanten war es auch nicht gut, sich an die Zeiten zu erinnern, als wir alle einfach nur Christen waren. Wissen über die Vergangenheit wurde deshalb nicht mehr weitergegeben, oder einfach vergessen.
Was unsere Mitbürger später aufschrieben - vor allem in der Zeit von König Friedrich II. - wurde nicht gedruckt oder ihr Wissen von besser gestellten und uns in ihrer "Cleverness" überlegenen Personen ent- und verwendet. Wie hat Samuel Gerlach gelitten, als er Teile seines Buches über Potsdams Stadtgeschichte in von Friedrich Nicolai herausgegebenen Büchern wiederfand. Er konnte nichts dagegen tun. Nach seinem Tod verschwand das Manuskript im obrigkeitlichen Archiv. Und bis heute ist es nicht veröffentlicht. Obwohl es euch nun schon seit über 150 Jahren bekannt ist.
Unter den Herrschern aus dem Haus Hohenzollern, schließlich, war es - im Interesse des persönlichen Wohlbehagens - besser, sich beim Schreiben von ihren Wünschen leiten zu lassen. Seht euch die teilweise dicken Wälzer an. Wir kommen darin nicht vor.
Seit über 100 Jahren haben die Hohenzollern in Potsdam nichts mehr zu sagen. Aber habt ihr es geschafft, euch von ihnen zu lösen? Ihr folgt ihren Vorgaben, unterteilt die Menschen nach wie vor in "wertvoll" und "wertlos" und befindet darüber, wessen Andenken zu bewahren ist und wessen vernichtet werden darf. Und behauptet auch noch, anders zu sein, als die Menschen in der Zeit eurer Groß- bzw. Ugroßeltern.

Ist das nicht eine zu ungerechte Bewertung?

Seht euch die Ergebnisse an, die geschriebenen und die ungeschriebenen, die gebauten und die nicht gebauten. Vielleicht gelangt ihr irgendwann zu der Erkenntnis, dass wir Recht hatten. Aber vermutlich muss dafür noch viel Zeit vergehen. Den jetzt Lebenden wird es jedenfalls nicht gelingen!

 

 

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